Werden die Grundschüler von heute zu Architekten digitaler Welten von morgen?

27.07.2018 -  

Die Welt wird digital – das verändert, wie wir lernen, arbeiten, kommunizieren, konsumieren, ja, wie wir leben. Doch wie stellen sich Bildung, Arbeit oder Kommunikation der digitalen Welt? Welche Chancen bietet die Digitalisierung, welche Risiken birgt sie? Darüber sprach Pressesprecherin Katharina Vorwerk mit Professorin Dr. Jana Dittmann, Leiterin der Arbeitsgruppe Multimedia and Security an der Fakultät für Informatik, Institut für Technische und Betriebliche Informationssysteme.

Dittman, Jana (c) Harald KriegProf. Dr.-Ing. Jana Dittmann (Foto: Harald Krieg)

Als Mitglied im Digitalisierungsbeirat Sachsen-Anhalts werden Sie in den nächsten Jahren die Umsetzung der „Digitalen Agenda“ aktiv begleiten. Digitalisierung in Verwaltung, Bildung, Wirtschaft, Wissenschaft und Arbeit, wie ist aus Ihrer Sicht der Stand in Sachsen-Anhalt?

Mit der digitalen Agenda sind wichtige ausstehende Aufgaben formuliert, und es ist ein sehr guter Grundstein gelegt. Das Thema Bildung in der digitalen Welt und die Querschnittsziele Verbraucherschutz, Datenschutz und Informationssicherheit liegen mir dabei besonders am Herzen. 

Die neue Bundesbildungsministerin Anja Karliczek möchte den Unterricht an den Schulen weiter digitalisieren. Was würden Sie ihr raten, was brauchen die Schulen?

Digitalisierung muss gesamtheitlich betrachtet werden: Schülern und Lehrern müssen die Grundlagen in Hard- und Software, also die Informatik, mit Spaß vermittelt werden. Aktive und realitätsnahe Beispiele wie Hardware zum Anfassen, selbst aufbauen oder selbst konfigurieren bieten da gute Ansätze zum Verstehen.Digitalisierung kann Lernprozesse durch digitale Werkzeuge unterstützen. Bei der Auswahl an Werkzeugen muss auf lernförderliche Elemente geachtet werden, um den Unterricht zu bereichern und zu ergänzen. Wissen und Kompetenzen zur Digitalisierung müssen so aufgebaut werden, dass alle in der Lage sind, sich lebenslang auf aktuellem Stand zu halten.

Die zukünftig in der digitalen Welt Agierenden müssen befähigt werden, sich souverän in ihr zu bewegen, das heißt, den Technikeinsatz sinnvoll zu gestalten, Gefahren und Risiken zu erkennen und frühzeitig „digitale Selbstverteidigung“ zum Schutz zu üben. Das sind wichtige Ziele für ein selbstbestimmtes, informiertes und eigenständiges Handeln in der digitalen Zukunft. Positive Anreize zur „digitalen Selbstverteidigung“ und die Kenntnis über Qualitätsmerkmale von Hard- und Software sowie Datenschutz durch Technik und datenschutzfreundliche Voreinstellungen sollten selbstverständlich werden.

Die Schulen müssen Vielfalt, Gestaltungsmöglichkeiten sowie Wahlfreiheit vermitteln. Sie sollten keine Eingewöhungskultur in einen kleinen Kreis von Anbietern fördern, sondern das Erlernen von Alternativen wie OpenSource und OpenContent fordern.

Bei der Analyse von individuellen Lernprozessen und der Bewertung von Lernerfolgen muss ein für die Persönlichkeit des Schülers vertrauensvoller und sicherer Ansatz gesucht und gefunden werden. Beides muss strikt unter Kontrolle der Schule bleiben. Nicht zuletzt müssen dringend ethische Grundsätze für unsere digitale Welt erarbeitet, umgesetzt und vermittelt werden.

Die Reflexion von Digitalisierung wird bestimmt durch zunehmend komplexere, undurchschaubare Technik und die bisher meist ungeregelte Verfügbarkeit und Verwendung von Daten. Hier muss die Stellung des Einzelnen in der digitalen Welt durch Wissen gestärkt werden. Der Slogan unserer Fakultät „Werde ArchitektIn digitaler Welten!“ kann für jeden im Kleinen stehen.

Wann sollte die Digitalisierung des Unterrichts beginnen – in der Grundschule, im Gymnasium oder in der Berufsbildenden Schule?

Die Kompetenz, Digitalisierung zu verstehen, sie zu gestalten, also Einfluss zu nehmen, kann so früh wie möglich als Lernziel verfolgt werden. Die Digitalisierung des Unterrichts sollte jedoch maßvoll erfolgen; nur ein Teil sein. Die bewährten traditionellen Lehr- und Lernformen haben ihre Berechtigung und sind sehr sinnvoll. Ein herkömmliches Buch hat hier nach wie vor viele Vorteile. Die Digitalisierung kann gezielt ergänzen.

Es reiche nicht, in allen Klassenzimmern SmartBoards und andere digitale Technik zu installieren, sagen Sie. Was braucht es noch?

Wenn Sie Schwimmen lernen möchten, reicht es nicht, eine Schwimmhalle zu bauen und sich diese anzuschauen. Sie müssen hinein ins Wasser, mit dem ganzen Körper und allen Sinnen. So ist es auch bei der Digitalisierung, um diese zu verstehen und zielführend zu nutzen, reicht es nicht, ein SmartBoard anzuschauen und die Inhalte zu sehen. Es ist ein Element von vielen und dieses sollte in eine lernfördernde Strategie eingefügt werden. Die Freiheit und Kreativität des Einzelnen darf nicht durch vorgegebene Frage- und Antwortschemata so eingeengt werden, dass sie „individuell verkümmern“ und sich selbst reduzieren. Technik sollte sich dem Menschen anpassen, nicht umgekehrt.

Sie sprachen von „digitaler Selbstverteidigung“. Welche Rolle spielen Datenschutz und -sicherheit in der digitalen Zukunft?

Mit Informatik kann man die Digitalisierung gestalten, aber ohne Sicherheit wird diese Gestaltung nicht gelingen. Was Sicherheit in der digitalen Welt bedeutet, haben viele kaum im Blick. In anderen Fächern wie Chemie und Physik wird das Verständnis der Welt vermittelt, hier begreifen die Schüler durchaus was gut und was schlecht ist und wo die Gefahren sind. So sollte es auch bei der Digitalisierung sein, Chancen und Risiken begreifbar zu machen. Die Bedienung von Sozialen Medien, Nachrichtendiensten etc. lernen alle fast automatisch.

Oft im Dunkeln und unbeantwortet bleiben jedoch Fragen wie: Was verbirgt sich dahinter, was passiert wann und wie? Wer hat und nutzt meine persönlichen Daten, was kann ich und sollte ich wie konfigurieren? Was ist für mich und andere gut, was kann gefährlich sein? Was hat welche Folgen für die Nutzer persönlich und die Gesellschaft insgesamt? Werde ich oder kann ich später diskriminiert werden?

 

Sollte Informatikunterricht flächendeckend als Pflichtfach in den Schulen eingeführt werden, also Programmieren wie Lesen und Schreiben gelehrt werden?

Informatik als Pflicht kann sehr hilfreich sein, man könnte das Fach auch Digitalisierung nennen. Das Grundverständnis zur Programmierung ist sehr hilfreich, es reicht aber für sich alleine nicht aus. Bei der Digitalisierung werden Systeme gebaut, die mit anderen Systemen zusammenarbeiten – sprich vernetzt sind. Man sollte von Anfang an das Verständnis fördern, dass Digitalisierung viele Facetten hat und dann gezielt und, wenn möglich anfassbar, die Gestaltungsmöglichkeiten, wie auch den technischen Datenschutz mit möglichst datenschutzkonformen Voreinstellungen vermitteln.

Programmieren ist ein Baustein, der am besten spielerisch gelernt wird –Lieblingstiere laufen lassen, Bücher in einem Computerspiel umsetzen, kombinieren mit zeichnen oder kreativ gestalten. 

Der von Karliczeks Vorgängerin 2016 angestoßene Digitalisierungspakt soll für fünf Jahre fünf Milliarden Euro zur Verfügung stellen. Reichen Zeit und Geld, um die Schulen für ihre Aufgaben in der digitalen Bildung fit zu machen?

Wenn man den aktuellen Diskussionen folgt, gibt es da durchaus Zweifel. Der Digitalisierungspakt ist ein Signal und ein Start. Noch wichtiger als Geld jedoch sind gute Konzepte zur Anwendung, zum Einsatz, zur Betreuung; sind gut ausgebildete Lehrer mit Zeit für eine gute Vorbereitung.

Darüber hinaus werden neben der Auswahl und Anschaffung von Hard- und Software auch Experten für deren strategisch sinnvolle, sichere und vertrauenswürdige Konzeption, Konfiguration und Einrichtung sowie Techniker benötigt. Ebenso sollten eine aktive Betreuung der Lehrer und Schüler sowie die Wartung und Aktualisierung der Hard- und Software, einschließlich der Lernprogramme, Sicherheitslösungen und Schulbücher, abgedeckt sein.

 

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Professorin Dittmann.

Letzte Änderung: 15.02.2023 - Ansprechpartner: Webmaster